Mai 2022 / Witten / mit Milo Munnix / Förderer Kulturforum WittenStadtwerke Witten, Innenstadtbüro Mitten@Witten / Fotos von Luisa Gehnen (Innenstadtbüro mitten@witten)

Drei Stühle. Zwei Personen. Ein sozial-energetischer Raum im Öffentlicher Raum. Welches Potenzial steckt in dem Zusammenspiel dieser Elemente?

Der dritte Stuhl ist eine offene Einladung an alle vorbeigehende Passanten, in den offenen Raum einzutreten. Die dadurch entstandene Interaktion ist eine co-Kreation der drei Personen. Für den Ablauf der Interaktion besteht kein Plan. 

ContACT ist ein Kontaktangebot. Der Teppich und drei Stühle markieren einen offenen Raum. Alles weitere ist Situationismus.

Die Performance hatte das Ziel, einen besonderen Raum im öffentlichen Raum zu schaffen, in dem neue Kontakte außerhalb der alltäglichen Anonymität entstehen können.

Wie gut höre ich zu? Welche Fragen darf ich stellen? Stelle ich Fragen, nur um Fragen zu stellen, oder interessiere ich mich wirklich für die Person, die vor mir sitzt? Warum ist mir die Person (un)sympatisch? Wie viel teile ich von mir? Kann ich die Offenheit anbieten, die ich von meinen Begegnern anfordere?

Statt Antworten kamen mit jedem Gespräch neue Fragen hinzu. Jede Begegnung nahm ihre eigene Fahrt auf. Das dirigierte Chaos ohne feste Struktur war zum Anfang des Kontaktes zwar herausfordernd – Wovon sollten wir denn sprechen? Wir kennen uns doch gar nicht? – führte aber fast immer zu einem Schatz: zu einer Lebensweisheit, einer berührenden Erfahrung, einer spannender Weltanschauung, einer schönen Erinnerung. 

Unter dem Individuellen Biografien lagen die Schichten des Kollektiven, in den wir uns wiedererkennen konnten. Sei das die Lust, die Welt zu erfahren, die Sehnsucht nach Familie und Zugehörigkeit oder die offene Frage nach der eigenen Bestimmung und Berufung in diesem Leben. Durch die Offenheit und Besonderheit des Raumes entstanden sehr persönliche Gespräche. 

Tag 01 24. Mai 2022, 11.00 – 14.00 Uhr

Standort: Marktplatz, Witten

Lage: windiger Tag, um die 15°C, während des Lebensmittelmarktes auf dem Markt

Wir eroberten an dem ersten Tag den Wittener Markt. Ein Teppich markierte unsere „Station“ im Raum. Drei Stühle öffneten den Begegnungsraum. Der vorerst gewählte Standort unterhalb der Überdachung der Bushaltestelle „Rathaus“ außerhalb der Verkaufsständer schien zu exponiert zu sein. Die Passanten folgten ihren Zielen und gingen erstmal an uns vorbei. Die ersten Reaktionen der Vorbeilaufenden waren sogar eher zurückhaltend bis negativ geladen. Skeptische Blicke wechselten das Kopfschütteln, oft um die Neugier zu verstecken. Die erste Gästin kam aber doch. Sie lies sich auf die Situation ein und teilte viel von ihrem Verhältnis zu Witten mit. Nachdem wir um 12 Uhr auf die freie Fläche zwischen den Marktständen umgesiedelt haben, änderte sich auch die Stimmung auf unserem Teppich. Fünf weitere Passanten setzen sich zum Gespräch zu uns. Während der situativ entstandenen Gespräche tauchten fiele Fragen auf: Wieviel erzähle ich von mir selbst? Wieviel möchte ich mit einer fremden Person teilen? Welche Fragen sind Tabu, welche Fragen regen das Gespräch an? Wie beendet man das Gespräch? Mit der Zeit verwandelten sich die Fragen von Problemfeststellungen in Navigationknotepunkte. Ziel der Performance war es nicht, die Menschen nach ihren Lebensläufen auszufragen, sondern mit ihnen in einen authentischen ehrlichen Kontakt zu treten. 

Oft mussten wir zuerst das Missverständnis räumen, dass wir den Begegnern nicht irgendwelche Produkte oder Dienste verkaufen wollen. Nach der Erklärung der Idee haben sich doch alle bis auf eine Person hingesetzt, die uns angesprochen haben.

Barbara, um 45, Fotografin und Reisebegleiterin aus Witten

Barbara ist ein „Wittener“ Urgestein, sie wuchs hier auf und fühlt sich hier wohl. Sie kommt gerne von ihren Weltreisen zurück nach Witten und gibt sich mit ihren Freunden mit. Das Gleichgewicht zwischen der Freiheit und Sesshaftigkeit ist ihr sehr wichtig.

„Das Zuhause ist, wo meine Wurzeln sind, wo meine Freunde sind.“

„Lächeln öffnet das Herz.“

Hans, 83, Wittener, der aus Berlin kommt, pensionierter Siemens-Mitarbeiter

Hans ist der letzte aus seinem alten Freundeskreis. Trotzdem fühlt es sich nicht einsam. Er sucht gerne Kontakt mit anderen auf und lässt sich gerne auf das Unvorhersehbare des Lebens ein. Im Kontakt mit anderen ist ihm Rücksicht und Umsichtigkeit wichtig. Er vermisst seine Berliner Heimat, will sich aber in seinem Alter nicht mehr die Anstrengung des Umzugs geben.

„Die Begegnung ist mir wichtig, wir sind doch Menschen, keine Maschinen!“

„Die Welt muss man nicht verstehen, man muss mit ihr klarkommen!“

Gabi, um 62, Wittenerin, Lehrerin auf dem Berufskoleg

Um den Stress in ihrem Beruf auszugleichen, fährt Gabi gerne ihren Motorrad. Stabilität und Sicherheit ist ihr im Leben fast genauso wichtig wie Freiheit. Obwohl der Beruf an vielen Stellen eine Herausforderung ist, fühlt sie sich durch die Arbeit mit Jugendlichen erfüllt. Insbesondere, weil sie Werte an die nächste Generation vermitteln kann.

„Im Leben geht es darum, Gleichgewicht zwischen Ordnung und Chaos zu finden.“

Anonym, um 12, Wittener Junge und sein Kumpel

Die beiden Jungs wollten sich nicht zu uns setzen, aus dem kleinen Fetzen des Gespräches konnten wir aber heraushören, dass es Schwierigkeiten mit der Englischlehrerin gibt und dass die beiden nun am liebsten schlafen gehen würden.

Kara, um 30, Wittener Studentin

Kara war unsere erste Gästen bei den Proben. Diesmal hat sie nur kurz vorbeigeschaut und teilte mit, was sie in dem Moment emotional beschäftigt. Das Regen nahm sie als Zeichen dafür, weiterzuziehen.

Leo, um 30, Wittener student und Unternehmer

Leo kreiste um uns während seines Telefonats schon seit paar Minuten herum, bevor er sich zu uns gesellte. Leo setzt sich mit seiner Idee der frisch gepressten Gesundheitssäfte durch. Er erzählte recht schnell über die großen Veränderungen der letzten Zeit in seinem Leben und teilte mit uns seinen unternehmerischen Werdegang. Seine Abenteuerlustigkeit und Gelassenheit dem Leben gegenüber war ansteckend.

Tag 02, 25. Mai 2022, 13.00 – 16.00 Uhr

Standort: Bahnhofstraße, Witten

Lage: sonniger Tag, um die 15°C

Am zweiten Tag standen wir vor dem Unikat in der Bahnhofstraße. Trotz der Erfahrung vom Vortag und dem geringen Verkehr verspürte ich beim Ausrollen des Teppichs wieder die Anfangsaufregung. Ein Stück öffentlichen Raum so für sich zu behaupten fordert den Zugang zum eigenen Mut und Selbstsicherheit. Nachdem das „Setting“ aufgebaut war, sank auch die Aufregung. Die geschaffene Situation hat mir wieder das Gefühl von Sicherheit gegeben. Das hat sich als hilfreich erwiesen, denn der von uns ausgewählte Standort wirkte auf mich im Vergleich zu der (extrem ausgedruckt) liebevollen Geborgenheit des Marktes vom Vortag fast feindlich. Die wenigen Sitzgarnituren vor den Imbissläden und paar Sofas vor dem Unikat haben es nicht geschafft, das No-Mans-Land und die Transitzone zu einer lebendigen Kreuzung zu verwandeln. Zumindest nicht zu dieser Uhrzeit. Alle liefen an uns vorbei und schienen zum Teil sogar uns nicht bemerkt zu haben. Wir hielten unsere Frustration über eine Stunde aus und nutzen diese Zeit, um mit den unterschiedlichen Qualitäten unserer Präsenz und Offenheit zu experimentieren. Außer einer unseren Bekannten setzte sich trotzdem niemand dazu.

Der zweite Standort befand sich an einem der frequentiersten Plätzen der Stadt. An der Kreuzung Bahnhofstraße – Berliner Straße sind viele Gastronomiebetreiber zu finden, ein Wasserspielplatz, Tramhaltestelle, paar Bänke und Bäume. Menschen gehen hier durch, verweilen ein wenig, spielen, essen… der Platz ist lebendig. Trotz diesen vermeintlich perfekten Rahmenbedingungen hatten wir auch hier Schwierigkeiten neue Begegner zu erreichen.

Hier wurde nochmal deutlich, wie viele Parametern die Zugänglichkeit der Performance bestimmen. Die Stellschrauben zwischen Offenheit, Sicherheit, Sichtbarkeit müssen immer wieder präzise kalibriert werden. Wir entschieden uns für einen ein wenig unscheinbaren Standort: einen Streifen zwischen der Hauptbühne des Platzes und der Tramfahrbahn. Wir nahmen uns also vorab aus dem Mittelpunkt des Platzes heraus. An der Stelle wollten wir stärker Das Gefühl von Sicherheit entstehen lassen. Verglichen mit dem letzten Tag, an dem wir uns in die Mitte des Platzes niedergelassen haben, mussten wir mit viel weniger Kontakten auskommen, obwohl die Rahmenbedingungen objektiv schlechter waren.

Nach einem „Icebreaker“ (einer Welle von unseren Freunden, die plötzlich kurz mit uns auf dem Teppich verweilten) setzte sich doch ein Begegner zu uns. Der erste und zugleich letzte Gast des Tages. Auch er hat thematisiert, dass er sich erstmal sicher sein wollte, dass wir ihm nichts verkaufen wollen, bevor er sich auf die Situation einlassen wollte.

Pari, um 60, aus Wetter

Pari hieß früher anders. Nachdem er aber bei einem spirituellen Lehrer seine Erfahrung gemacht hatte, bekam er seinen neuen Namen. Seitdem hat sich sein Leben vom Grund auf verändert. Außer einer Trommelschule, scheint sein Leben keine sehr ausgeprägte Struktur zu haben. Die Wertschätzung für das Jetzt und Hier durchwebte das lange offene Gespräch.

„Im Leben geht es um Spaß & Freude.“

„Ich mache keine Arbeit, ich liebe.“

„Jeder Tag ist für mich anders.“

Tag 03 26. Mai 2022, 17.00 – 20.00 Uhr

Standort: Lutherpark, Ruhrstraße, Voß’scher Garten, Bahnhofstraße, Witten

Lage: sonniger Tag, Feiertag, Kirmes

Zum Anfang der letzten Aufführung haben wir uns erstmal zu einem Fotoshooting in Lutherpark mit einer Fotografin getroffen. Von da aus stürzten wir uns in das Getümmel der Kirmes in der Ruhrstraße. Es war wie erwartet viel los. Die Kirmes mag einem wie ein Potpourri aus unterschiedlichsten Farben, Geräuschen und Gerüchen vorkommen. Doch offenbar ist auch da ganz klar, was da hingehört und was erstmal für Aufsehen sorgt. Zwei Männer, die mit drei Stühlen in ihren Händen und einer Teppichrolle über die Schulter durch die Straße gingen, zogen sofort neugierige Blicke auf sich. Dementsprechend stieg auch unsere Anspannung. Schließlich fanden wir einen passenden Standort und schlugen unseren Lager auf einer auffällig großen leeren Fläche vorm Park auf. So haben wir uns auch in das lebendige Bild ein wenig integriert. „Gehört das hierher?“, haben sich bestimmt viele Vorbeiziehende gefragt. Aus ihren Blicken konnten wir meistens Belustigung und Neugier ablesen. Nach längerem „Leersitzen“ traten plötzlich zwei Jungs ein und verweilten ein wenig. Der nächste Besuch wurde uns vor dem Kirmes-Veranstalter persönlich verpasst. Statt unserer Einladung zum Mitsitzen zu folgen forderte er das Sondererlaubnis für unsere Aktion an, und wies uns darauf hin, dass wir uns in der Feuerwehreinfahrt niederlassen haben.

Die nächste Zwischenstation war am Spielplatz im Voß’scher Garten. Da Leisteten wir beide uns Gesellschaft nur gegenseitig. Zum Abschluss kehrten wir wieder in die Bahnhofstraße. Diesmal nahmen wir aber einen prominenten, sehr sichtbaren Standort in der Mitte des Berliner „Platzes“ ein. Vermutlich wegen des Feiertages, sprich langem Wochenende, waren viele Städter nicht da. Der Platz wirkte viel kahler und leerer als sonst. Nach und nach kamen aber zu uns doch wieder paar Kids und tauschten mit uns Paar Worte. Zum Schluss hat sich die Verkäuferin von der Eisdiele dazugesellt. Sie war auch die letzte Begegnerin der Performance-Reihe.

Lucas 31, Arzt aus Witten

„Im Leben geht es darum, das anzuerkennen, dass man auf diesem Planeten ist.“

Anonym, zwei Jungs um 15 aus Witten

Zwischendurch kurz bei uns gelandet, waren die Jungs vor allem voll mit Eindrücke von der Kirmes. Sie bot den eine nette Abwechslung zum anscheinend ansonsten langweiligen Schultag.

„Das geilste auf der Kirmes ist Break Dance!“

Paul 11, Schüler aus Witten

Dieser junge selbstbewusster ehrenamtlicher Umweltschützer wusste schon in seinem Alter, er wolle erneuerbare Energien studieren. Er erzählte uns von seinen vielen Interessen im Bereich Natur- und Umweltschutz. Es war überraschend, wie klar er in Bezug auf seine Ausrichtung war.

Isam und Amir 11 und 10, Brüder aus Witten

Was die beiden verbunden hat, war die Leidenschaft für Fußball und die Frust über die Langeweile hier in der Stadt.

Asch 17, Schülerin & Eisverkäuferin

Die junge Aktivistin brauchte mehrere Anläufe, bevor sie mit uns in ein tiefgreifenderes Gespräch einsteigen könnte, da sie immer wieder bei neuer Kundschaft zurück zu der Eisdiele laufen musste. Der Weltschmerz über die Klimakatastrophe, Kriege und andere weltliche Themen hat sie sehr stark berührt und sich handlungsunfähig fühlen lassen.